Johann Wachtendorf – Biographie

Johann Friedrich Wachtendorf wird am 25. Juni 1871 als viertes Kind von Johann Hinrich Wachtendorf und Catharine Wachtendorf auf dem elterlichen Hof in Lintel (heutiger Eigentümer des später in der unmittelbaren Nachbarschaft errichteten Neubaus: Hans-Gerd Wefer) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Sophie Margarethe Schröder, Meta Gesine Osterloh und Gerhard Diedrich Wachtendorf. Darüber hinaus hat er mit Gesine Margarete Petershagen, Catharine Gesine Grube, Anna Catharine Bleckwehl, Anna Gesine Marie Schröder und Johann Hinrich Wachtendorf noch fünf ältere Halbgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters mit Sophie Catharine Huntemann.

Sechs Tage nach Johanns Geburt nimmt mit der Freigabe der letzten Teilstrecke GerolsteinTrier die von Euskirchen kommende Eifelbahn offiziell ihren Betrieb auf. Insgesamt 18.000 Menschen haben der Überlieferung zufolge mehr als zehn Jahre lang an ihrer Fertigstellung gearbeitet – Bauernsöhne aus der Region ebenso wie Wanderarbeiter aus Österreich, Italien und Kroatien. Unter heute kaum vorstellbaren Strapazen schichten sie Bahndämme auf, bauen Brücken über Bäche und Flüsse, sprengen Tunnel durch das Eifelgebirge und errichten Bahnhöfe und Gleisanlagen.

Für die wegen ihrer Abgelegenheit häufig als „Preußisch-Sibirien“ verspottete Eifel-Region läutet die Eisenbahn ein neues Zeitalter ein. Der mühsame Warentransport mit Pferde- und Ochsenkarren entfällt, Bauern können ihr Gemüse plötzlich auf zuvor unerreichbar scheinenden Wochenmärkten verkaufen. Zugleich entscheidet die Nähe zum neuen Beförderungsmittel über Aufstieg und Fall ganzer Branchen: Das mit einem Gleis-Anschluss versehene Bergwerk „Spandau“ in Mechernich etwa entwickelt sich schnell zur größten Blei-Förderstätte Europas, während die leer ausgegangene Eisenindustrie recht bald ihrem Ende entgegentaumelt.

Wenige Jahre zuvor hat sich im Großherzogtum Oldenburg, zu dem Johanns Geburtsort Lintel gehört, Vergleichbares abgespielt. Nur drei Kilometer nördlich des Wachtendorf-Hofes verläuft die im Juli 1867 fertiggestellte Bahnstrecke Bremen-Oldenburg – und eröffnet der Region ebenfalls völlig neue Perspektiven. Durch den Bau einer zweiten Strecke nach Brake (1873) und Nordenham (1875) wird das nahegelegene Hude sogar zum Eisenbahn-Knotenpunkt. Es folgt eine Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, wie in der Eifel und andernorts entstehen rund um jeden Bahnhof zahlreiche Arbeitsplätze.

Ein Angebot, das Johann anders als so manch anderer Klassenkamerad in der Volksschule Lintel kaum benötigt: Halbbruder Johann Hinrich Junior nämlich, der einzige männliche Nachkomme aus der ersten Ehe seines Vaters, ist bereits 1855 als Säugling verstorben. Angesichts des in Hude geltenden Jüngstenrechts läuft somit in punkto Erbfolge alles auf Johann zu. In die Bewirtschaftung des elterlichen Hofes dürfte er wie die älteren Geschwister früh eingebunden sein, spätestens nach dem Tod der Mutter im April 1881.

Die offizielle Hofübergabe erfolgt im Mai 1894 anlässlich von Johanns Hochzeit mit Metta Witte aus Vielstedt – drei Jahre, bevor Vater Johann Hinrich im Alter von 75 Jahren an Speiseröhrenkrebs stirbt. Aus der Ehe mit Metta gehen insgesamt sieben Kinder hervor: Hinrich (Februar 1895), Anna (November 1896), Clara (Februar 1899), Hermann (September 1900), Gerhard (Dezember 1902), Johann Georg (April 1904) und Gesine (April 1905).

Unmittelbar nach Gesines Geburt trifft die Familie ein Schicksalsschlag: Als Johann sich an einem der nächsten Tage auf den Weg nach Hude macht, um auf dem Standesamt die Formalitäten zu regeln, bricht auf dem Wachtendorf-Hof ein verheerender Brand aus. Verursacht wird er Johanns Enkel Heinrich Osterthun zufolge nicht wie in der Linteler Chronik von Walter Janßen-Holldiek vermerkt von einem Blitzschlag, sondern von einem oder mehreren Landstreichern oder Wandergesellen, die ohne Wissen der Eigentümer in der Scheune übernachten und dort über einem offenen Feuer ihr Frühstück zubereiten.

Nach dem Brand gibt Johann die Hofstelle auf und siedelt sich mit seiner Familie einige hundert Meter weiter südwestlich auf einem Flurstück Richtung Lindhorn an, das den Namen „Hinter der Regde“ trägt. Dort widmet er sich in den folgenden Jahren ganz dem Wiederaufbau und der Landwirtschaft – bis ihn im August 1914 der Erste Weltkrieg aus seiner täglichen Arbeit reißt.

Sowohl Johann als auch der ebenfalls eingezogene älteste Sohn Hinrich kehren 1918 heil aus dem Krieg zurück. Dafür stellen sich bei Ehefrau Metta schon bald nach der Rückkehr ernsthafte gesundheitliche Probleme ein: Die Folgen eines Anfang der 20er Jahre erlittenen Schlaganfalls und ein Nervenleiden fesseln sie die meiste Zeit des Tages ans Bett.

Als der jüngste Sohn und Hoferbe Johann Georg am 1. April 1927 Anna Stubbemann aus Krögerdorf bei Lemwerder heiratet, kaufen Johann und Metta am nördlichen Rand des Nachbardorfes Hurrel ein vier Jahre zuvor von Dietrich Schütte errichtetes Haus nebst zwei Hektar Land (heute: Egon Wachtendorf und Elke Brumund). Dorthin an die Hurreler Straße folgen ihnen die jüngste Tochter Gesine und deren Ehemann Heinrich Mindermann. Beide helfen zunächst bei der Bewirtschaftung und bei Mettas Pflege, können den neu gegründeten Betrieb aber nicht wie ursprünglich geplant fortführen: Bei der Geburt ihrer Zwillinge Anneliese und Gisela im August 1930 erleidet Gesine einen irreparablen Hüftschaden. Das macht den Weg frei für Sohn Gerhard und dessen Ehefrau Martha, die den durch Zukauf auf eine Größe von acht Hektar erweiterten Hof wenige Monate vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten übernehmen.

Im Februar 1934 stirbt Metta, ohne dass sich ihr Zustand noch einmal wesentlich gebessert hätte. Fünf Monate später kommt Gerhards und Marthas Tochter Elfriede zur Welt, im Dezember 1936 dann Sohn Gerold – Johanns Enkelkinder Nummer 13 und 16, denen bis Ende 1939 noch zwei weitere folgen.

Hat Johann den Ersten Weltkrieg noch recht glimpflich überstanden, so trifft ihn der seit September 1939 tobende zweite große Krieg des Jahrhunderts mit voller Härte: Im August 1944 fällt Enkel Johann Diedrich, im Januar 1945 dann Sohn Gerhard. Kurz darauf geht der von ihm 1905 neu erbaute und mittlerweile von Sohn Johann Georg bewirtschaftete Stamm-Hof nach einem feindlichen Fliegerangriff zum zweiten Mal innerhalb von 40 Jahren in Flammen auf. Am 2. Mai 1945 schließlich – also das Kriegsende schon unmittelbar vor Augen – kommt in Tweelbäke Enkelin Hertha Osterthun ums Leben, als sie es bei einem Artilleriebeschuss nicht rechtzeitig in den rettenden Bunker schafft.

Seine letzten Lebensjahre verbringt Johann mit Schwiegertochter Martha und den Enkeln Elfriede und Gerold an der Hurreler Straße. Er stirbt am 26. Januar 1951 an Altersschwäche und wird drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beerdigt.