Bruno Emil Willi Härtig – Rufname Willi – wird am 17. Januar 1905 in Rosenthal im Landkreis Bunzlau in Niederschlesien geboren. Über seine Eltern und die Anzahl und Namen der Geschwister ist heute in der Familie nichts mehr bekannt.
Das Jahr 1904 endet im Deutschen Reich ausgesprochen ungemütlich – mit einer Sturmflut an der Ostsee, die mehrere Menschen das Leben kostet und unter anderem in Kiel mit der Überschwemmung ganzer Straßenzüge große Schäden anrichtet. Das schlechte Wetter hält auch Anfang 1905 an, dem Sturm folgt ein Temperatursturz. Auf der Zugspitze etwa zeigt das Thermometer in den ersten Januartagen Werte von unter minus 30 Grad Celsius, in der schlesischen Hauptstadt Breslau werden zeitweise minus 17 Grad gemessen.
Mit dem Schnee- und Kälteeinbruch einher geht eine Grippe-Welle, die in den folgenden Wochen tausende Tote fordert. Als prominentestes Opfer gilt Caroline Reuß zu Greiz – die erst 20-jährige Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach erliegt laut offiziellen Angaben am 17. Januar 1905 einer der Grippe folgenden Lungenentzündung. Anderen Quellen zufolge nimmt sich Caroline allerdings aufgrund ihrer äußerst unglücklichen Ehe mit Großherzog Wilhelm Ernst selbst das Leben. Eine Woche später sagt Kaiser Wilhelm II. alle zu seinem Geburtstag am 27. Januar geplanten Feierlichkeiten ab, da sein 21-jähriger Sohn Eitel Friedrich ebenfalls mit einer Lungenentzündung das Bett hüten muss. Der Prinz erholt sich allerdings relativ rasch. Ein Jahr später heiratet er Sophie Charlotte von Oldenburg, die älteste Tochter des Großherzogs Friedrich August. Hochadel unter sich.
Fließt auch in Willis Adern adliges Blut? Ausgeschlossen ist das nicht, denn vielleicht handelt es sich bei ihm um einen entfernten Nachfahren des von Martin Hartig im 16. Jahrhundert in Löwenberg begründeten Adelsgeschlecht der Hartigs: Löwenberg liegt von Rosenthal nur 30 Kilometer entfernt.
Zum Zeitpunkt von Willis Geburt hat Rosenthal (heute: Rozyniec) mutmaßlich um die 400 Einwohner, bei der letzten offiziellen Zählung unter deutscher Verwaltung im Jahr 1939 sind es 476. Ob Willis Eltern damals einen eigenen Hof bewirtschaften oder Bedienstete eines der umliegenden Rittergüter sind, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Fest steht aber, dass er nach Abschluss der Volksschule ebenfalls in die Landwirtschaft geht und später in der Verwaltung eines in der Nähe der Kreishauptstadt Bunzlau gelegenen Gutes arbeitet.
Im Zuge seiner Arbeit lernt Willi Mitte oder Ende der 20er Jahre Frieda Hillmann aus dem benachbarten Dorf Strans kennen. Die beiden heiraten am 22. Juni 1929. Frieda bringt mit ihrer im August 1924 geborenen Tochter Martha ein uneheliches Kind in die Beziehung ein, welches Willi in den folgenden Jahren und Jahrzehnten jedoch wie sein eigenes behandelt. Mit Waltrauth, Arthur, Margarete und Wanda kommen bis Dezember 1939 vier gemeinsame Kinder hinzu.
Als Gutsverwalter geht es Willi trotz der schon kurz nach seiner Heirat ausbrechenden Weltwirtschaftskrise nicht schlecht. Er baut oder kauft – nähere Informationen dazu liegen nicht vor – in Bunzlau ein Haus, das er mit Frieda und den Kindern bezieht. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 stellt jedoch nur wenige Jahre später alles, was sich Willi bis dato aufgebaut hat, wieder in Frage. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wird er wie Millionen andere deutsche Männer im wehrfähigen Alter zur Wehrmacht eingezogen. Fortan sieht Willi seine Familie fortan nur noch während vereinzelter kurzer Front-Urlaube.
Wo und wann genau Willi in sowjetische Gefangenschaft gerät, ist nicht überliefert. Nach Kriegsende verbringt er jedoch mehrere Jahre in einem Arbeitslager in Sibirien – ohne gesicherte Information darüber, wohin es seine Familie nach der Einnahme Bunzlaus durch die Rote Armee im Februar 1945 verschlagen hat. Mit einer Ausnahme: Stieftochter Martha lebt und arbeitet bereits seit Beginn der 40er Jahre im von Bunzlau rund 600 Kilometer entfernt liegenden Hurrel. Man kann sich die Erleichterung vorstellen, als er nach seiner Entlassung erfährt, dass auch Frieda und die anderen vier Kinder nach ihrer Flucht gesund dort angekommen sind und seit Mitte 1945 auf dem Hof von Marthas Ehemann Friedel Timmermann (heute: Kerstin und Thomas Schwantje) wohnen.
Als Willi Ende 1949 oder Anfang 1950 in Hurrel eintrifft, ist die Freude auf beiden Seiten groß – auch wenn die Familie die nächsten Jahre in einer Baracke haust und nur das Allernötigste zum Leben hat. Erst nach und nach bessert sich die materielle Situation. Da Friedel Timmermann den von seinem Vater geerbten Hof bereits kurz nach Willis Ankunft an Heinrich Feder verkauft hat und seinerseits mit Martha in eine Baracke gezogen ist, fehlen in der Landwirtschaft jegliche Perspektiven. Deshalb entschließt Willi sich, mit Mitte 50 noch einmal völlig neu anzufangen: Er zieht im Herbst 1959 mit Frieda und den beiden Kindern Arthur und Margarete nach Schalksmühle im Sauerland, wo er die nächsten zehn Jahre im Stahlwerk Kuhbier & Sohn arbeitet.
Viel Zeit für einen geruhsamen Lebensabend zu zweit bleibt danach nicht: Frieda stirbt im April 1973, und auch von Willi fordern die Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte ihren Tribut: Er stirbt am 22. Juni 1974 – seinem 45. Hochzeitstag – und wird wenige Tage später auf dem Friedhof der Evangelischen Kirchengemeinde Schalksmühle beerdigt.