Hermann Theodor Wübbenhorst wird am 6. Februar 1880 als viertes Kind von Diedrich Wübbenhorst und Anna Marie Wübbenhorst auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Birgit Ganteföhr) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Johann Wübbenhorst, August Wübbenhorst und Aline Wübbenhorst. Daneben hat er mit Johann Diedrich Rüdebusch, Heinrich Rüdebusch, Frieda Barkemeyer, Martha Petermann, Gesine Müller und Georg Hermann Rüdebusch noch sechs jüngere Halbgeschwister aus der zweiten Ehe seiner Mutter mit Johann Rüdebusch.
In den Wochen nach Hermann Theodors Geburt arbeiten zwei gewaltige Bautrupps in den Schweizer Alpen mit Hochdruck auf ein historisches Ereignis hin: den Durchbruch des Gotthard-Tunnels. Die eine Gruppe ist in Göschenen im Kanton Uri Richtung Süden gestartet, die andere kämpft sich ihr vom Tessiner Dorf Airolo aus entgegen. Dazwischen lagen zu Baubeginn 15 Kilometer Gestein – sie mit Dynamit aus dem Berg zu sprengen und die so entstandene Schneise zu befestigen hat knapp siebeneinhalb Jahre gedauert. Am 29. Februar 1880 stehen sich beide Gruppen endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. „Durch!“ titelt am darauffolgenden Tag die Neue Zürcher Zeitung in einer der kürzesten Schlagzeilen ihrer Geschichte.
Es ist eine technische Meisterleistung, die alle Beteiligten unter der Regie des federführenden Ingenieurs Louis Favre vollbringen. Favre selbst erlebt seinen Triumph nicht mehr mit: Er ist im Juli 1879 im Alter von nur 53 Jahren einem Aorten-Aneurysma erlegen – zermürbt vom jahrelangen Dauerstress auf dem Bau, der ihn überdies zu ruinieren drohte. Um den Auftrag zu erhalten, hatte Favre nämlich 1872 eingewilligt, für sämtliche zeitlichen Verzögerungen und ungeplanten Mehrausgaben finanziell persönlich geradezustehen. Dem ehrgeizigen Zeitplan hinkt das Jahrhundert-Projekt jedoch vom ersten Tag an hinterher, wofür letztlich Favres Erben geradestehen müssen.
Opfer fordert der Gotthard-Tunnel jedoch auch unter den übrigen Beteiligten. Und das gleich massenhaft: Nach offiziellen Angaben kommen bis zur Fertigstellung fast 200 der überwiegend aus Italien stammenden Bauarbeiter ums Leben. Sie werden von unter Tage operierenden Fahrzeugen zerquetscht, von Felsen erschlagen oder durch Dynamit zerfetzt. Vier Todesfälle gehen auf einen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen gerichteten Streik zurück, in dessen Verlauf mit der Situation überforderte Polizeikräfte im Sommer 1875 unkontrolliert in die Menge feuern. Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs: Nicht in die amtliche Statistik eingeflossen sind sämtliche Fälle, in denen Arbeiter ihre Stellung schwer verletzt oder krank aufgeben mussten und erst nach der Rückkehr in ihre Heimat gestorben sind. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der tatsächlichen Opfer deshalb mehr als zehnmal so hoch. Zu den häufigsten Todesursachen gehören unter anderem Typhus und durch den Granitstaub ausgelöste Silikose. Zudem grassiert eine rätselhafte, als Gotthard-Tunnel-Krankheit in die Medizingeschichte eingegangene Seuche, die sich als Befall mit Hakenwürmern entpuppt.
In Hurrel bedroht in den Jahren des Gotthard-Tunnel-Baus eine ähnlich unsichtbare Gefahr Heinrich Theodors Familie. Seine drei älteren Geschwister sind zwischen 1876 und 1879 allesamt der Tuberkulose zum Opfer gefallen, und auch Vater Diedrich trägt die heimtückische und bis dahin kaum erforschte Krankheit bereits in sich. Was nach heutigem Kenntnisstand folgende Frage aufwirft: Haben sich Johann, August und Aline durch den Kontakt mit ihrem Vater oder anderen möglicherweise erkrankten Mitgliedern des Wübbenhorst-Haushalts mit Mycobacterium tuberculosis infiziert, oder sind sie ein Opfer des durch den Verzehr von nicht abgekochter Kuhmilch übertragenen, nicht minder gefährlichen Erregers Mycobacterium bovis geworden?
Im Grunde genommen ist beides gleich wahrscheinlich. Bis zur Entdeckung des erstgenannten Bakteriums durch den Mediziner Robert Koch 1882 gilt Tuberkulose nicht als Infektionskrankheit, vor einer Ansteckung schützende Vorsichtsmaßnahmen gibt es folglich nicht. Und die von Koch fälschlicherweise als harmlos erachtete Rindertuberkulose ist im 19. Jahrhundert in deutschen Ställen weit verbreitet. Fest steht nur, dass der jeweilige Erreger bei allen drei Kindern auf eine eingeschränkte beziehungsweise erst schwach ausgebildete Immunabwehr trifft.
So ist es letztlich auch bei Hermann Theodor: Er stirbt am 7. Juli 1880 nur fünf Monate nach der Geburt unter vermutlich ganz ähnlichen Symptomen wie seine Geschwister. Als Todesursache nennt das örtliche Kirchenbuch – ebenfalls typisch für die damalige Zeit – eine nicht näher beschriebene „Brustkrankheit“. Beerdigt ist Hermann Theodor sechs Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.