Werner Josef Ganteföhr wird am 21. März 1933 als zweites Kind von Paul und Maria Ganteföhr in Herne geboren. Er ist der um zwei Jahre jüngere Bruder von Magdalene Kroll.
Der 21. März 1933 geht als „Tag von Potsdam“ in die deutsche Geschichte ein: An diesem Tag findet zur Eröffnung des am 5. März neu gewählten Reichstags ein Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche statt, an dem neben Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg fast 2.000 Repräsentanten des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft und der Reichswehr teilnehmen. „Der Spiegel“ sieht das Ereignis 75 Jahre später als Höhepunkt jenes „parlamentarischen Selbstmords“, durch den sich die Weimarer Republik mit Hilfe des zwei Tage später verabschiedeten Ermächtigungsgesetzes quasi selbst abschafft. Ein vor der Kirche ausgetauschter Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg gilt bis heute – wenn auch nicht immer richtig interpretiert – als Symbol für die unheilvolle Allianz des deutschnationalen Bürgertums mit den Nationalsozialisten.
Nicht nur in Potsdam und im nahegelegenen Berlin, auch in anderen deutschen Städten herrscht nach den jahrelangen politischen und wirtschaftlichen Krisen die von Zeitzeugen jenes Tages beschriebene Hoffnung auf „etwas Neues“. In Herne hingegen dürfte sich der Jubel der Menschen in Grenzen halten: Bei der letzten wirklich freien Reichstagswahl am 6. November 1932 kam die NSDAP lediglich auf 20,2 Prozent, während 31,3 Prozent der Wähler der nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 in die Illegalität gedrängten KPD ihre Stimme gaben.
Herne ist damals eine Stadt, die im Wesentlichen vom Bergbau lebt. Auch Werners Vater ist dort tätig. Er schließt kurz nach Werners Einschulung die weiterführende Ausbildung zum Steiger ab. Als nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 deutsche Truppen das seit 1922 zu Polen gehörende Kohlenrevier Kattowitz in Oberschlesien erobern, veranlassen bessere Aufstiegschancen und ein leichterer Abbau der Steinkohle Paul Ganteföhr, mit seiner Frau und den beiden Kindern dorthin zu gehen. Am 1. April 1941 ist sein Dienstbeginn. Doch bereits 1944 rückt die russische Front immer näher und entwickelt sich zu einer akuten Bedrohung.
Am 17. Januar 1945 flüchtet Werner – damals 11 Jahre alt – zusammen mit einigen Lehrern und Klassenkameraden in den Westen, zunächst in Richtung Frankfurt/Oder. Dazu heißt es in seiner Lebensgeschichte, die er später für seine Kinder Sabine und Martin geschrieben hat: „Nur wenige Tage waren uns dort gegönnt. Die Front schob sich immer weiter nach Westen – unaufhörlich und mit rasantem Tempo, schon am 30. Januar erreichte die Rote Armee die Oder zwischen Frankfurt und Küstrin. Nur drei Tage vorher waren wir aufgebrochen, um per Zug über Guben, Cottbus und Hoyerswerda Dresden zu erreichen. Trotz der nahenden Fronten vom Osten sowie vom Westen wurde sogar in Dresden noch ein Ausflug unternommen, um die Stadt und deren unvergleichliche Schönheit kennenzulernen. Die Kinder erlebten unter anderem noch eine Vorstellung im festen Bau des Zirkus Sarrasani. Eine Ahnung, wie ernst es war, gab uns jedoch die Abwesenheit der älteren Mitschüler. Die Ältesten hatte man bereits zum Militär geholt, jetzt wurden die 15- bis 16-Jährigen zum Werwolf geschickt. Die Unbarmherzigkeit des Krieges wurde uns aber vor allem durch die Bombardierungen von Dresden in aller Grausamkeit vor Augen geführt. Dresden kannte bis dahin keinen Bombenkrieg. Die Stadt war völlig unvorbereitet, als am 13. und 14. Februar britische Geschwader ohne nennenswerte deutsche Luftabwehr in mehreren Intervallen über die ganze Stadt einen Bombenteppich legten. Schutzlos gegen diesen Feuersturm waren die Stadtbewohner und der seit Wochen die Stadt überschwemmende Flüchtlingsstrom. Napalm-Bomben verwandelten die wunderbare Altstadt, als Elbflorenz gepriesen, in ein Flammenmeer. Wir Jungen konnten vom Garten aus in Klotzsche das Inferno mit Entsetzen verfolgen. Blutrot war der ganze Himmel von den Flammen, dazu das Getöse der Detonationen, fürchterlich. Mit einem Lehrer zusammen gingen wir Jungen am nächsten Morgen zum Dresdener Hauptbahnhof durch Schutt, Asche, Rauch und Tod, um den Flüchtlingen und Obdachlosen Hilfe zu geben. Irgendwie sind wir bei unserer ziellosen Flucht, auf der vergeblichen Suche nach einem sicheren Fleckchen Erde, nach Aussig geraten. Hier hat uns die russische Front erreicht, mit einer Zangenbewegung eingeschlossen, gefangen in einem Kessel. Überall verstreut lagen ausgebrannte Fahrzeuge, Panzer standen verlassen am Wegesrand, die Straßen waren zerrissen von schwerem Gerät, die Felder zerwühlt, die Häuser zerstört. Tote Menschen, Soldaten, Zivilisten, überall – Grauen und Aussichtslosigkeit ringsum. Wir hatten Angst, entsetzliche Angst. Es war der Abend des 6. Mai. Wie ist es möglich, dass selbst in diesem Chaos sich Nachrichten verbreiten wie ein Lauffeuer? In der Nacht, wir hatten zusammengekauert gehockt in einem Ruinenwinkel gelähmt von hilfloser Angst, auf einmal Jubelschreie, Gewehrschüsse als Salut. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands um 2.41 Uhr wurde geflüstert und gerufen, betrauert und bejubelt, beweint und belacht.“
Nach der Kapitulation schlägt sich Werner bis nach Herne durch, erfährt aber dort von Verwandten, dass sich Mutter und Schwester in Thüringen aufhalten – in Steinfeld, wo seine Mutter geboren ist. Also macht er sich wieder allein zurück auf den Weg in den Osten und erreicht mit Hilfe eines Bauern, der Land zu beiden Seiten der Grenze bewirtschaftet, unter Stroh auf dem Anhänger seines Treckers versteckt Steinfeld. Nun fliehen alle drei wieder zurück. Die russischen Grenzsoldaten, denen sie ausgeliefert sind, werden mit selbstgebranntem Schnaps und einer Armbanduhr zufriedengestellt.
Erst im Oktober 1945 ist die Familie wieder in Herne vereint. Der Vater ist in amerikanischer Gefangenschaft gewesen, wird aber bald wieder entlassen, da jeder Mann dringend im Bergbau benötigt wird. Auch Werner geht in den Bergbau. Im April 1947 beginnt für ihn die Ausbildung zum Berglehrling. Das entspricht zwar nicht seinen Neigungen, aber es gibt für ihn ein unschlagbares Argument: das Essen! Vor der Schicht gibt es zwei Schnitten Brot und nach der Schicht eine warme Mahlzeit.
Doch kommt er hier seinem Wunsch zur Malerei überraschenderweise ein Stück näher. Martin Felderhoff, ein Laborant auf der Zeche, fühlt sich zur Kunst berufen und hat den Stall eines Zechenhauses zu einem Atelier umgebaut. Bei ihm erhält Werner Unterricht. Die Tochter seines Förderers studiert Bildhauerei an der Folkwangschule Essen, dadurch erfährt Werner von den Möglichkeiten eines Kunststudiums. Der Gedanke daran lässt ihn nicht mehr los. Anfang 1953 reicht er eine Bewerbungsmappe ein und studiert ab April 1953 vier Jahre lang Gebrauchsgraphik.
Seine erste Anstellung erhält Werner bei der Neuen Ruhr Zeitung in Essen. Zum 1. April 1959 wechselt er zur Bergbaumaschinenfabrik Beien in Herne, seiner Geburtsstadt. Das damals durch die Fertigung von Druckluftmotoren und Fördermaschinen für den Bergbau bekannte Unternehmen hatte einen Graphiker gesucht. Nur wenige Monate später, im August 1959, heiratet er Helma Kempf, die er während seiner Studienzeit in Essen-Werden kennengelernt hatte. Mit Stolz und Freude erleben beide im Dezember 1960 die Geburt ihres ersten Kindes Sabine und im Mai 1969 die Geburt des Sohnes Martin.
1962 erlebt der Bergbau seine erste Krise nach dem Krieg, wovon auch Beien betroffen ist. Werner orientiert sich neu und erhält in der ostwestfälischen Vertriebenen-Stadt Espelkamp eine Stelle bei der Firma Robert Krause KG, die Ringbuchmechaniken und Möbelbeschläge fertigt. Dort wird er kurz darauf Leiter der Werbeabteilung.
In Espelkamp lernt Werner 1964 Paul Gauselmann kennen. Der damalige Entwicklungsleiter des vor Ort ansässigen, in der Automatenherstellung tätigen Unternehmens Harting importiert nebenberuflich gebrauchte Musikboxen aus den USA, verpasst ihnen ein neues Äußeres und stellt sie in Vertrags-Gaststätten auf. Dieses Äußere zu gestalten ist Werners erster freiberuflicher Auftrag.
Als sich Gauselmann 1965 selbständig macht, ist Werner von Beginn an als freiberuflicher Mitarbeiter dabei. Anlässlich Gauselmanns 1976 vollzogenem Einstieg in das Geschäft mit Münzspielautomaten kreiert er das Firmenlogo der lachenden Merkur-Sonne – ein Markenzeichen, das lange Zeit als „Deutschlands beliebtestes Glückssymbol“ vermarktet wird.
Selbst als Werner im Alter von 64 Jahren in den Ruhestand tritt, bleibt er Paul Gauselmann weiter eng verbunden. Zusätzlich geht er jedoch immer auch seiner eigenen künstlerischen Arbeit in Grafik und Malerei nach mit zahlreichen Einzelausstellungen und Ausstellungs-Beteiligungen im In- und Ausland. Besonders zu erwähnen sind darüber hinaus seine Kalenderarbeiten: Er hat seit 1973 mehr als 50 Exemplare mit einer Auflage von über 350.000 Exemplaren herausgegeben.
In der Ehe stellen sich derweil unüberwindliche Schwierigkeiten ein. Zermürbende Auseinandersetzungen führen 1976 zur Trennung der Familie. Um Werner in seiner trostlosen Einsamkeit ein wenig Ablenkung zu verschaffen, überredet ihn ein Freund zu einer Reise nach Sri Lanka. Werner hatte die Biographie Als Maler durch Indien von Oswald Malura gelesen, der über seinen Aufenthalt in Indien und dem damaligen Ceylon schrieb. Werner war fasziniert davon und hatte den stillen Traum, dort einmal sein zu wollen.
Auf der Reise lernt Werner Birgit Hoffmann aus Bremen kennen. Sie heiraten im Oktober 1978. Weil sich beide wünschen, auf dem Lande zu leben, kaufen sie nach intensiver Suche in Hurrel einen 1521 erstmals urkundlich erwähnten und bis 1945 von der Familie Rüdebusch bewirtschafteten Resthof. Am 1. Mai 1979 ziehen sie ein und arbeiten kontinuierlich daran, aus dem nach langer Pachtzeit doch recht heruntergekommenen Gebäude ein Schmuckstück ländlicher Architektur zu machen. 2001 werden die Hofanlage und das Wirtschaftsgebäude unter Denkmalschutz gestellt. 2012 wird dieser Status durch eine spezielle Denkmalschutz-Plakette, die es bisher in Niedersachsen nicht gab, sichtbar gemacht.
Im Oldenburger Land fühlt sich Werner rasch heimisch. Hier findet er die Motive für seine mit viel Liebe zum Detail geschaffenen Landschafts-Darstellungen. Wiesen, Wälder, Moore, Seen, die gewaltigen Eichen des Hasbruch, weite Durchblicke und dörfliche Szenen hält er in zahlreichen Ölbildern, Aquarellen, Zeichnungen und Radierungen fest.
Von Beginn an beteiligt sich Werner intensiv am vielfältigen kulturellen Leben in Hude. Er gestaltet durch Kataloge und Plakate die „Kulturtage ´80 Hude“, den Wettbewerb „Der Baum“, den Huder Bürgerbrief und das Huder Künstler-Verzeichnis „Alte Meister – Junge Kunst“. Er entwickelt einen Werbeprospekt für Hude, prägt das Logo „Hude zum Malen schön“ und ist auch maßgeblich an zahlreichen Jubiläumsveranstaltungen beteiligt: 750 und 777 Jahre Hude, 100 Jahre Volksbank, 125 Jahre Huder Bahnhof.
Bis zu seinem Tod bleibt Werner künstlerisch aktiv. Er stirbt am 25. November 2013 und wird acht Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude beigesetzt. Im Mai 2016 würdigt die Gemeinde seine vielfältigen Verdienste, indem sie den neugestalteten Dorfmittelpunkt in Hurrel in „Werner-Ganteföhr-Platz“ umbenennt und zusätzlich eine Stele mit Informationen zu seinem Leben und Arbeiten errichtet.