Hermann Friedrich Ahrens – Biographie

Hermann Friedrich Ahrens wird am 4. Oktober 1889 als achtes Kind von Hermann Ahrens und Anna Katharina Ahrens auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Rolf Ahrens und Sonja Kosmann) geboren. Er ist der jüngere Bruder von Catharine Gesine Ahrens, Sophie Ahrens, Helene Ahrens, Johann Gerhard Ahrens, Heinrich Ahrens, Gesine Ahrens und Mathilde Münstermann und der ältere Bruder von Johann Ahrens. Darüber hinaus hat er mit Meta Ahrens, Adeline Marks und Anna Gesine Ahrens noch drei ältere Halbschwestern aus der ersten Ehe seines Vaters mit Margarete Elise Schweers.

Zwei Tage nach Hermann Friedrichs Geburt öffnet in Paris ein Cabaret seine Pforten, das noch heute amüsierwillige Touristen aus aller Welt anzieht: das Moulin Rouge. Am Fuße des Montmartre gelegen, soll es nach dem Willen der beiden Gründer Charles Zidler und Joseph Oller Nachtschwärmern ein einzigartiges Programm bieten. Dazu gehören regelmäßige Auftritte von Clowns, Akrobaten und sonstigen Varieté-Stars wie dem Kunstfurzer Joseph Pujol, aber auch diverse Tanznummern. Zur besonderen Attraktion geraten dabei die Cancan-Tänzerinnen, die zur Musik von Jacques Offenbach mit hohen Beinwürfen und Spagat-Sprüngen den Blick unter ihre Röcke erlauben – zur damaligen Zeit der Gipfel der Frivolität. Im Lustgarten des Moulin Rouge thront zudem ein riesiger Gips-Elefant mit eingebauter Bühne, auf der eine Bauchtänzerin das ausschließlich männliche Publikum (Damen haben zu diesem Programmpunkt keinen Zutritt) in ihren Bann zieht.

Es ist die hohe Zeit der Belle Époque, und an keinem anderen Ort der Welt kommt das damit verbundene Lebensgefühl besser zur Geltung als in Paris. Nicht nur, aber auch deshalb entwickelt sich Frankreichs Hauptstadt mehr und mehr zum bevorzugten Domizil von Künstlern aus ganz Europa. Neben lokalen Größen wie Edgar Degas, Paul Gauguin oder Auguste Rodin leben und arbeiten hier Anfang der 1890er Jahre unter anderem der Norweger Edvard Munch, der Spanier Ramon Casas und der Tscheche Alfons Mucha.

Mit Henri de Toulouse-Lautrec geht einer dieser Künstler eine enge Beziehung zu dem neuen Etablissement ein und gestaltet im Auftrag der Betreiber zahlreiche Werbeplakate. Das bekannteste davon zeigt die Cancan-Tänzerin Louise Weber, die im Moulin Rouge unter ihrem Künstlernamen „La Goulue“ auftritt. Auch deutsche Kunstschaffende zieht es in dieser Zeit immer wieder nach Paris. Etwa Max Liebermann, der am Montmartre 1873 ein eigenes Atelier einrichtet, oder in späteren Jahren Paula Modersohn-Becker.

Wenige Monate nachdem Paula Becker – damals noch nicht mit Otto Modersohn verheiratet – Anfang 1900 ein erstes Mal von Worpswede nach Paris übergesiedelt ist, sucht dort mit Heinz Witte ein anderer, noch gänzlich unbekannter Künstler aus der Region sein Glück. Der Bauernsohn aus Lintel hat bis 1894 oder 1895 die gleiche Schule besucht, die Hermann Friedrich sehr wahrscheinlich im Frühjahr 1896 zum ersten Mal betritt. Er und seine nächstältere Schwester Mathilde gehören damit wie Emma Busch, Frieda Busch, Gerhard Heinemann, Johann Mönnich, Georg Rüdebusch, Gesine Rüdebusch und Friedrich Wilkens zur letzten Generation Hurreler Kinder, die ihren Bildungsweg noch im Nachbardorf beginnt: Schon ein Jahr später nimmt Hurrel ein eigenes Schulgebäude in Betrieb, was Hermann Friedrichs Schulweg von drei Kilometer auf einen Kilometer verkürzt.

Der Ahrens-Hof, auf dem Hermann Friedrich mit seinen Eltern und den Geschwistern aufwächst, zählt zu den größeren Betrieben des Dorfes. Nur ein Teil der dazugehörigen Fläche davon ist allerdings kultiviert und somit für den Ackerbau nutzbar, der Rest dient als Weidefläche für Schafe. Sie zu hüten dürfte in der Kindheit häufig zu Hermann Friedrichs Aufgaben gehören – wobei er sich vermutlich zu keinem Zeitpunkt Hoffnungen darauf machen darf, den Hof eines Tages übernehmen zu können.

Dasselbe gilt für seinen vier Jahre jüngeren Bruder Johann, dem dies angesichts des in der Gemeinde Hude geltenden Jüngstenrechts eigentlich zustünde. Vater Hermann hat jedoch bereits vor dessen Einschulung das 65. Lebensjahr vollendet und setzt deshalb in der Frage der Nachfolge auf den 1883 geborenen Sohn Heinrich. Der noch ein Jahr ältere Bruder Johann Gerhard, der dafür sicher auch ein Kandidat gewesen wäre, ist im Dezember 1882 als Säugling verstorben. Bei Hermann Friedrichs Einschulung leben auch schon die Schwestern Sophie, Helene und Gesine nicht mehr. Todesursache ist wie bei Johann Gerhard mutmaßlich die in jenen Jahren im Dorf allgegenwärtige Volksseuche Tuberkulose.

Nach Schulabschluss und Konfirmation arbeitet Hermann Friedrich wahrscheinlich weiter im elterlichen Betrieb mit. Dafür spricht zumindest ein um 1906 herum aufgenommenes Familienfoto, das ihn mit seinen Eltern, den beiden Brüdern und Schwester Mathilde zeigt. Im März 1911 – Hermann Friedrich dürfte inzwischen seinen Militärdienst absolviert haben – stirbt Vater Hermann. Weil Hoferbe Heinrich noch nicht verheiratet ist und nur ein Jahr später der jüngste Bruder Johann überraschend einem Herzschlag erliegt, bleibt Hermann Friedrich vermutlich auch danach in der ihm vertrauten Umgebung.

Inwieweit ihn seine Stellung auf dem Ahrens-Hof ausfüllt, darüber lässt sich nur spekulieren. Wie Heinz Witte, der sich inzwischen in Künstlerkreisen unter dem Beinamen „Le Noir“ einiges an Renommee verschafft hat, alles stehen und liegen zu lassen und den nächsten Zug Richtung Paris zu nehmen, kommt ihm aber wohl kaum in den Sinn. Naheliegender wäre da schon der Gedanke, es dem Schulkameraden Friedrich Wilkens gleichzutun und in die USA auszuwandern. Letzterer arbeitet seit Herbst 1911 in Nebraska auf der Farm seiner Schwester Anna Tönjes – die wiederum mit Hermann Friedrichs Onkel Heinrich Bernhard Tönjes verheiratet ist. Mit ihm steht die Familie in regelmäßigem Briefkontakt.

Gute Voraussetzungen also für einen solchen Schritt, den Hermann Friedrich dennoch zu scheuen scheint. Und dann ist es plötzlich zu spät dafür. Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand im Juni 1914 löst fünf Wochen später den Ersten Weltkrieg aus und macht eine Auswanderung zunächst unmöglich. Wie Bruder Heinrich wird auch Hermann Friedrich zur kaiserlichen Armee einberufen. Ein unmittelbarer Fronteinsatz bleibt ihm Unterlagen seiner Schwester Mathilde zufolge jedoch zunächst erspart. Vielmehr verschlägt es ihn nach der Ausbildung in Osnabrück in die nordschleswigsche Gemeinde Toftlund. Zum Glück für ihn, wie er Mathilde im September 1916 auf einer der damals zu Millionen verschickten Feldpostkarten mitteilt: „Die anderen, die damals in Osnabrück geblieben sind, sind nach der Somme gekommen. Dort sollen schon Verluste sein.“

Einen persönlichen Verlust, wenn auch nicht kriegsbedingt, gab es für die beiden Geschwister zwei Monate zuvor in der Heimat: Im Juli 1916 ist Mutter Anna Katharina im Alter von 64 Jahren einer Lungenentzündung erlegen. Eine spätere Feldpostkarte von Hermann Friedrich an Mathilde zeigt den Recherchen des Hurreler Historikers Karl-Heinz Ziessow zufolge auf der Vorderseite den Bahnhof der französischen Stadt Verdun – ein Indiz dafür, dass Hermann Friedrich irgendwann doch noch an der heiß umkämpften Westfront zum Einsatz kommt. Gleichwohl übersteht er den Krieg äußerlich unversehrt und kehrt wie sein zwischenzeitlich durch einen Gasangriff verletzter Bruder Heinrich spätestens nach dem im November 1918 geschlossenen Waffenstillstand von Compiègne nach Hurrel zurück.

Der deutschen Niederlage folgt nach Kaisersturz und Ausrufung der Republik eine politisch und wirtschaftlich schwierige Zeit. Während Heinrich und Mathilde im Frühjahr 1919 dessen ungeachtet im Abstand von wenigen Wochen heiraten, bleibt Hermann Friedrich Junggeselle. Seinen Lebensunterhalt verdient er mutmaßlich weiter auf dem einst von den Eltern und seit 1911 von seinem Bruder geführten Hof. Spätestens die Verwerfungen der 1923 völlig aus dem Ruder laufenden Hyperinflation dürften ihn dann aber veranlassen, das Thema Auswanderung doch noch einmal zu überdenken. In Nebraska hat Friedrich Wilkens inzwischen eine eigene Farm gepachtet, und Heinrich Bernhard Tönjes wird seinen Neffen ermutigen, ebenfalls in Nebraska sein Glück zu suchen.

Tut Hermann Friedrich sich mit dem 15 Jahre jüngeren, schon länger zur Emigration entschlossenen Hurreler Heinrich Janzen zusammen? Verlassen beide Deutschland sogar auf demselben Schiff? Die Oldenburgische Gesellschaft für Familienkunde zumindest nennt jeweils 1924 als das Jahr der Auswanderung, und sowohl für Hermann Friedrich als auch für Heinrich Janzen führt der Weg nach Pender – jenem Ort in Nebraska, an dem Heinrich Bernhard und Anna Tönjes seit 1895 ihre Farm betreiben. Dorthin zieht es ein Jahr später auch Heinrich Janzens Schulkamerad Johann Schmerdtmann.

Wie es Hermann Friedrich in den folgenden Jahren in Pender ergeht, ist nicht überliefert. Fällt es ihm schwer, Fuß zu fassen, überwiegt am Ende doch das Heimweh? Auf jeden Fall beschließt er 1928 oder spätestens 1929, nach Deutschland zurückzukehren. Den konkreten Anlass liefert eine Nachricht aus der Familie von Anna Tönjes und Friedrich Wilkens. Die Geschwister erhalten im Sommer 1927 die Nachricht, dass ihr in Lintel verheirateter Bruder Hinrich im Alter von nur 46 Jahren verstorben ist und seine neun Jahre jüngere Witwe Martha nun mit zwei heranwachsenden Kindern und dem familieneigenen Hof (heute: Anke und Frank Peters) alleine dasteht.

Wie gut Hermann Friedrich und Martha einander zu diesem Zeitpunkt kennen, lässt sich nur vermuten. Auch Martha ist 1889 geboren, beide haben also in Lintel vor Hermann Friedrichs Wechsel in die neuerbaute Volksschule Hurrel mindestens ein Jahr lang gemeinsam die Schulbank gedrückt. Wer daraufhin die Initiative ergreift und den ersten Brief schreibt, ist unerheblich – als Fazit bleibt die Übereinkunft, miteinander einen Neustart zu versuchen. Im Juni 1929 verabschiedet Hermann Friedrich sich von seinen Verwandten und Bekannten in Pender und überquert „zwecks Verheiratung“ (so der offizielle amtliche Vermerk) ein zweites Mal den Atlantik.

Was angesichts der besonderen Umstände wie eine glückliche Fügung anmutet, endet nur einen Monat später tragisch. Erzählungen aus Marthas Familie zufolge kommt Hermann Friedrich bereits schwerkrank in Lintel an und stirbt dort am 30. Juli 1929. Als Todesursache nennt das Kirchenbuch ein nicht näher beschriebenes „Nierenleiden“. Beerdigt ist Hermann Friedrich drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.