Henriette Poppe – Biographie

Henriette Berta Poppe – Rufname Henni – wird am 18. September 1921 als zweites Kind von Heinrich Ahrens und Anna Ahrens auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Rolf Ahrens und Sonja Kosmann) geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Herbert Friedrich Ahrens und die ältere Schwester von Wilhelm Hermann Ahrens und Helmut Ahrens.

Fünf Tage nach Hennis Geburt stellt der österreichische Konstrukteur Edmund Rumpler auf der Deutschen Automobilausstellung in Berlin einen völlig neuartigen PKW vor, den Rumpler-Tropfenwagen. Dabei handelt es sich um das erste nach rein aerodynamischen Gesichtspunkten entwickelte Kraftfahrzeug, das neben einer ausgiebig im Windkanal getesteten Karosserie gewölbte Glasscheiben besitzt und so einen für die damalige Zeit geradezu sensationell niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von 0,28 aufweist. Ausgestattet ist es mit einem als Sechszylinder konzipierten Mittelmotor, der über eine Lamellenkupplung, ein Dreigang-Getriebe und ein Differential die Hinterräder antreibt. Weitere Besonderheit: Der Fahrer sitzt vorn in der Mitte, hinten ist Platz für bis zu vier Passagiere.

Ursprünglich hatte sich Rumpler, 1872 in Wien geboren und seit 1913 preußischer Staatsbürger, der Produktion von Flugzeugen verschrieben. Als sein bekanntestes Modell gilt der von Igo Etrich 1909 entwickelte Eindecker „Taube“. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 verbieten die Siegermächte der auf den Trümmern des Deutschen Kaiserreichs entstandenen Weimarer Republik jedoch den Bau von Fluggeräten, so dass Rumpler nach einem neuen Betätigungsfeld Ausschau halten muss und dort seine Erfahrungen aus dem Flugzeugbau einbringt. Den Namen des Automobils leitet er daraus ab, dass die Karosserie von oben betrachtet einem fallenden Wassertropfen ähnelt.

So revolutionär und zukunftsweisend der Tropfenwagen auch sein mag, ein Erfolg ist ihm nicht beschieden. Seinen größten Vorteil – den deutlich niedrigeren Benzinverbrauch bei konstant hohen Geschwindigkeiten – kann er nämlich kaum ausspielen, da Deutschland 1921 noch über keine einzige öffentlich zugängliche Autobahn verfügt. Zudem lässt die Technik zu wünschen übrig, Lenkung und Motor sind nicht ausgereift. Viele potenzielle Interessenten monieren darüber hinaus den fehlenden Kofferraum. Bis 1925 verkauft Rumpler nur gut 100 Fahrzeuge, daraufhin stellt er die Produktion ein. Die meisten bis dahin gebauten Tropfenwagen finden in Berlin als Taxi Verwendung. Einige andere Exemplare wiederum kommen wegen ihres futuristischen Designs als Requisite im Stummfilm-Klassiker „Metropolis“ zum Einsatz, wo sie am Schluss symbolträchtig auf dem Scheiterhaufen landen. Von Anfang an begeistert zeigt sich allein Hans Nibel, Chefkonstrukteur bei Benz & Cie. in Mannheim. Mit einer Lizenz zum Nachbau entwickelt er den Benz-Tropfenwagen, der zwischen 1923 und 1925 bei zahlreichen Motorsport-Veranstaltungen an den Start geht und diverse Preise einheimst.

Von der Existenz des Tropfenwagens nimmt damals in Hurrel mit ziemlicher Sicherheit niemand Notiz – gibt es doch im Dorf noch kein einziges Automobil. Wozu auch, schließlich erfüllen Pferd und Wagen, die auf nahezu jedem Hof vorhanden sind, den gleichen Zweck. Technisch ausgereift und ganz ohne Benzin. Davon losgelöst lädt das wirtschaftliche Umfeld in Hennis ersten Lebensjahren nicht unbedingt zu größeren Luxus-Anschaffungen ein. Zwar ist die auf den verlorenen Weltkrieg folgende Hyperinflation seit Einführung der Rentenmark Ende 1923 kein Thema mehr. Gleichwohl befindet sich die Landwirtschaft nach wie vor im Krisenmodus, so dass selbst die Besitzer größerer Höfe eher sorgenvoll als hoffnungsfroh in die Zukunft blicken.

Letzteres gilt mehr noch als andernorts auf dem Ahrens-Hof. Dort steht Hennis im Krieg nur knapp dem Giftgas-Tod entgangener Vater Mitte der 1920er Jahre vor einer schweren Entscheidung. Den mehr als 60 Hektar großen, noch nicht vollständig kultivierten Landbesitz mit Ehefrau Anna allein weiter zu bewirtschaften, ist ihm gesundheitlich auf Dauer nicht möglich. Hennis älterer, im Februar 1920 geborener Bruder Herbert Friedrich ist bereits als Säugling verstorben. Im Dezember 1925 stirbt auch der zweite Bruder Wilhelm Hermann noch vor Vollendung des ersten Lebensjahres. Spätestens da reift vermutlich in Heinrich Ahrens der Entschluss, den Hof zu verpachten. Er beginnt mit dem Bau eines Altenteiler-Hauses (heute: Erika und Gerhard Ahrens) und sucht währenddessen nach einem geeigneten Pächter, den er 1927 in Wilhelm Hohlen findet.

Ein halbes Jahr vor der Geburt des jüngsten Bruders Helmut wird Henni in die Volksschule Hurrel eingeschult. Zu ihren in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen gehören unter anderem Ilse Asseln, Käte Brinkmann, Alwine Grummer, Lily Lange, Sophie Mönnich, Rosa Pape, Adele Sparke, Minna Spreen und Fredegunde Timmermann. Mit Lily Lange und Fredegunde Timmermann, die nur zwölf Tage jünger ist als sie selbst, bleibt sie ein Leben lang befreundet. Nach Schulabschluss und Konfirmation im Frühjahr 1936 – drei Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten –geht Henni auf dem von ihrem Elternhaus 800 Meter entfernten Hof von Hinrich Janzen (heute: Daniela und Hans Mertsch) in Stellung. Dort arbeitet sie eine Zeitlang mit Frieda Harms aus Ofenerdiek zusammen. Die beiden jungen Frauen sind mit weiteren Freundinnen auch in ihrer Freizeit zusammen unterwegs, wie ein um 1937 aufgenommenes Foto dokumentiert. Später besucht Henni dann noch eine der zur damaligen Zeit weit verbreiteten Hauswirtschaftsschulen.

Im Juli 1938 stirbt Hennis Vater. Ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Hof von Wilhelm Imholze in Sandersfeld (heute: HS Lifestyle Club) arbeitet, ist heute nicht mehr bekannt. Dem Imholze-Hof angeschlossen ist eine recht gut laufende Gastwirtschaft, in der Henni ebenfalls aushilft. Bei dieser Gelegenheit lernt sie ihren künftigen Ehemann Heinrich Poppe aus Kirchkimmen kennen. Eine Beziehung, die zunächst durch den am 1. September 1939 beginnenden Zweiten Weltkrieg nicht auseinandergerissen wird. An diesem Tag befiehlt Reichsführer Adolf Hitler der Wehrmacht den Überfall auf den östlichen Nachbarn Polen – Teil eines Planes, den aufmerksame Leser schon knapp 15 Jahre zuvor Hitlers Programmschrift „Mein Kampf“ hätten entnehmen können. Geht es darin doch nicht nur um die Revision des von vielen Deutschen als „Schanddiktat“ empfundenen Friedensvertrags von Versailles, sondern sehr konkret um „neuen Lebensraum im Osten“.

Ihn zu erobern, braucht es Millionen von Soldaten. Und einen weiteren Überfall, dieses Mal auf den Bündnispartner Sowjetunion. Er erfolgt im Juni 1941. Heinrich Poppe, durch eine frühere Verletzung als nicht kriegstauglich eingestuft, erhält im Vorfeld dieses Feldzugs abermals keinen Stellungsbefehl, kann also seinen mit den Eltern betriebenen Hof (heute: Heino und Hannelore Poppe) weiterbewirtschaften. Dort, wo seit 1940 auch Heinrichs durch den Krieg früh verwitwete Schwester Martha Imholze mit ihrem Sohn Walter lebt, zieht Henni nach der am 10. November 1942 gefeierten Hochzeit ein. Und obwohl der Krieg an diesem Tag noch fern ist, bekommt sie schon einmal einen ersten Eindruck von ihm, als während der in Ganderkesee vollzogenen Trauung plötzlich Fliegeralarm ertönt.

In Kirchkimmen ist Henni von Anfang an in alle Arbeiten auf dem rund 20 Hektar großen Hof eingebunden. Schwiegervater Johann kann sich aufgrund einer im Ersten Weltkrieg erlittenen Verletzung nur eingeschränkt fortbewegen, Schwiegermutter Anna ist im November 1942 bereits 67 Jahre alt. Nach der Anfang Februar 1943 wenige Tage nach der Geburt verstorbenen Tochter Gerda bringt Henni im Juni 1944 Sohn Heino zur Welt. Anfang 1945, als die Wehrmacht an allen Fronten längst auf dem Rückzug ist, muss Ehemann Heinrich schließlich doch noch einrücken. Während Henni im Mai 1945 die Einnahme Kirchkimmens durch kanadische Einheiten erlebt, gerät Heinrich irgendwo im Grenzgebiet zwischen Österreich und dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren zunächst in amerikanischen Gewahrsam und nach einem Tausch der Zuständigkeiten in sowjetische Gefangenschaft. Ein unglücklicher Umstand, der ihn drei Jahre seines Lebens kostet und bis in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku führt.

Wann Henni zum ersten Mal ein Lebenszeichen von Heinrich erhält, ist nicht überliefert. Auf dem Hof muss es aber natürlich weitergehen, und zusammen mit Heino, ihren Schwiegereltern, Schwägerin Martha, Walter und zwei aus Schlesien vertriebenen Frauen erlebt Henni die schwierigen ersten Nachkriegsjahre. Kurz vor der im Juni 1948 vollzogenen Währungsreform ist dann auch Heinrich – zwischenzeitlich an Malaria erkrankt und gesundheitlich in wenig guter Verfassung – endlich wieder zu Hause.

Die 50er Jahre beginnen für Henni mit der Hochzeit ihres Bruders Helmut mit Emilie Kron und dem Tod von Mutter Anna nur zwei Wochen später. Ende 1952 wird Henni dann ein zweites Mal schwanger. Der Geburt von Klaus im August 1953 folgt im April 1956 mit Jürgen ein dritter Sohn. Anderthalb Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist Schwiegermutter Anna gestorben, der Lebensweg von Schwiegervater Johann geht im Januar 1957 zu Ende.

Was die Hofnachfolge angeht, so legen sich Heinrich und Henni relativ schnell auf Heino fest – auch weil er als der älteste Sohn am schnellsten in diese Rolle hineinwachsen kann. Eine richtige Entscheidung, wie sich bald herausstellt, denn nur ein halbes Jahr nach Heinos 21. Geburtstag erleidet Henni ihren wohl schwersten Schicksalsschlag. Heinrich muss die Weihnachtstage des Jahres 1965 wegen einer Augenoperation im Klinikum in Delmenhorst verbringen. Dort holt er sich eine Lungenentzündung und stirbt am 26. Dezember.

Durch Heinrichs plötzlichen Tod in ein tiefes Loch gefallen, erkrankt kurz darauf auch Henni und muss sich einer Unterleibsoperation unterziehen. Danach akzeptiert sie notgedrungen, mit 44 Jahren Witwe geworden zu sein. Auf dem Hof kümmert sie sich fortan vor allem um die Hühner und die Eiervermarktung, während Heino den Schwerpunkt mehr und mehr auf die Schweinezucht verlagert. Im April 1974 heiratet er Hannelore Wieting aus Steinkimmen. Vier Monate später wird Hennis erstes Enkelkind Jens geboren, im Januar 1978 folgt mit Andrea das zweite. Beide zu betreuen wird für Henni in den folgenden Jahren zu einer wichtigen Aufgabe, während die beiden jüngeren Söhne nach ihrer Ausbildung das Elternhaus verlassen.

Obwohl nach wie vor in die Landwirtschaft eingebunden, bleibt Henni in ihrem letzten Lebensjahrzehnt genügend Raum für andere Aktivitäten. Viel unternimmt sie beispielsweise mit ihrer alten Freundin Hertha Gramberg, bei deren Eltern Wilhelm und Adele Imholze sie einst in Stellung war. Mit Nachbarin Berta Hullen verbringt sie regelmäßig Urlaube in Cuxhaven, um an der frischen Nordseeluft ihre Lungenbeschwerden zu lindern. Als Herthas Bruder Heinrich Imholze in seinem Gasthof 1975 eine neue Kegelbahn in Betrieb nimmt, entdeckt Henni diesen Sport für sich und genießt die regelmäßigen, in geselliger Runde abgehaltenen Kegelnachmittage.

Im Juni 1980 wird Henni durch die Geburt von Klaus‘ Sohn Jörn zum dritten Mal Großmutter. Drei Jahre später erhält sie die Diagnose Darmkrebs. Die Hoffnungen, die sie danach in eine Behandlung beim Alternativ-Mediziner Julius Hackethal setzt, erfüllen sich nicht: Henni stirbt am 8. April 1986, wenige Tage vor einem ersten Termin in Hackethals Klinik. Beerdigt ist Henni am 11. April 1986 auf dem evangelischen Friedhof in Ganderkesee.