Heinrich Johannes Tönjes wird am 22. Februar 1894 als erstes Kind von Hinrich Tönjes und Sophie Tönjes auf dem elterlichen Hof in Hurrel (heute: Ingo Stöver und Sara Bolte) geboren. Er ist der ältere Bruder von Bertha Fortmann.
In den Wochen vor Heinrichs Geburt tobt im amerikanischen Radfahrer-Verband League of American Wheelmen (LAW) ein Machtkampf. Eine vom Anwalt William Walker Watts angeführte Gruppe von Mitgliedern aus den Südstaaten drängt darauf, farbigen Amerikanern künftig den Beitritt zu verwehren. Der Vorstoß ist eine Reaktion auf die zunehmende Popularität der Radrennfahrerin Kittie Knox. Die aus Massachusetts stammende Tochter einer Weißen und eines Schwarzen hat durch ihre konstant guten Leistungen bei verschiedenen Wettbewerben eine Euphorie für den relativ neuen Sport ausgelöst, überall im Land findet sie inzwischen Nachahmer. Durch eine vermehrte Aufnahme schwarzer Mitglieder würden sich Weiße aus dem Süden zunehmend weigern, den Verband zu unterstützen, argumentiert Watts. Und setzt sich durch: Nach zwei vergeblichen Anläufen erreicht seine Gruppe die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Satzungsänderung, am 20. Februar 1894 richtet die LAW die umstrittene Rassenschranke ein.
Da Knox der LAW bereits seit 1893 angehört, kann die Regel gegen sie selbst nicht angewendet werden. Trotz manch diskriminierender Schikanen nimmt sie deshalb weiter an von der LAW veranstalteten Rennen teil. Dabei wird Knox nicht nur zur Vorkämpferin gegen Rassismus, sondern bringt darüber hinaus die Gleichberechtigung ein Stück weit voran: Als gelernte Schneiderin fertigt sie ihre während der Rennen getragene Kleidung selbst und setzt sich so über das Gebot hinweg, dass Frauen auch auf dem Fahrrad grundsätzlich Röcke zu tragen haben.
Die von Knox auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen, äußerst praktischen Knickerbocker-Hosen animieren in den folgenden Jahren viele Amerikanerinnen, das neue Fortbewegungsmittel für sich zu entdecken. „Radfahren hat mehr zur Emanzipation von Frauen beigetragen als alles andere auf der Welt“, gibt bald darauf mit Susan Anthony eine der führenden Frauenrechtlerinnen des Landes anerkennend zu Protokoll. Kittie Knox wiederum bleibt nur wenig Zeit, sich im Glanz ihrer Popularität zu sonnen: Sie stirbt am 11. Oktober 1900 im Alter von 26 Jahren an Nierenversagen.
Radfahren kommt um die Jahrhundertwende auch im Deutschen Reich groß in Mode. In Heinrichs Heimatdorf Hurrel gründen Zweirad-Enthusiasten um den Bäckergesellen Friedrich Knutzen im Mai 1902 den Verein „Wanderlust“, der gemeinsame Ausfahrten organisiert und einmal im Jahr benachbarte Vereine zu einem Fest einlädt. Auch Frauen sind Mitglieder – halten sich aber in ihren langen weißen Kleidern strikt an den Dresscode der damaligen Zeit, wie ein kurz nach der Gründung aufgenommenes Foto dokumentiert.
Wann Heinrich zum ersten Mal auf einem Fahrrad sitzt und ob er dem Verein als Jugendlicher möglicherweise sogar beitritt, liegt heute im Dunkeln. Belegt ist hingegen, dass er von Kindesbeinen an Kontakt zu Pferden hat und sich deshalb wahrscheinlich sehr zeitig dem 1912 ins Leben gerufenen Reiterverein Sandersfeld anschließt oder sogar zu dessen Mitgründern gehört. Seine berufliche Zukunft nach Schulabschluss und Konfirmation zeichnet sich in diesem Umfeld früh ab: Als einziger Sohn soll Heinrich später einmal den am Hesterort gelegenen Hof der Eltern übernehmen. Ein anvisierter Übergabe-Zeitpunkt könnte der Dezember 1914 sein – in jenem Monat wird Vater Hinrich 65 Jahre alt.
Mitten in die Vorbereitungen der Übergabe hinein platzt im August 1914 der Erste Weltkrieg, an dem Heinrich mit seinen ehemaligen Schulkameraden Adolf Busch, Johann Haverkamp, Georg Lange, Carl Schwarting, Gustav Schwarting, Georg Sparke, Hinrich Wieting und Theodor Wieting vermutlich von Beginn an teilnimmt. Über die genauen Einsatzorte ist heute allerdings nichts mehr bekannt, ebenso wenig wie über die Umstände seiner Rückkehr nach dem im November 1918 geschlossenen Waffenstillstand. Das Eingeständnis der deutschen Niederlage führt zur Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und der Ausrufung der in ihren Anfangsjahren heftig umkämpften Weimarer Republik.
Im August 1921 stirbt Vater Hinrich. Zehn Monate später heiratet Heinrich Bertha Rüdebusch aus Kirchkimmen, deren Schwester Anna Mathilde für ihn durch ihre im April 1919 geschlossene Ehe mit Heinrich Ahrens zur Nachbarin geworden ist. Gut möglich, dass beide sich auf der Feier dieser Hochzeit kennengelernt haben. Schwester Bertha hat derweil Karl Bernhard Fortmann aus Kirchkimmen geheiratet und nur zwei Wochen nach der am 31. Juli 1920 gefeierten Vermählung einen ebenfalls auf den Namen Heinrich hörenden Sohn zur Welt gebracht. Ihm folgt im März 1925 Heinrichs Nichte Sophie, während in Hurrel seine eigene Ehe kinderlos bleibt.
Der von Heinrich geführte Hof gehört zu den größeren des Dorfes, auf dem regelmäßig Angestellte unterzubringen sind. Um mehr Platz zu schaffen, beginnt Heinrich 1926 mit dem Bau eines neuen Wohnhauses. Ein Jahr später beruft ihn die Spar- und Darlehenskasse in Hude in ihren Aufsichtsrat – ein Ehrenamt, das Heinrich über vier Jahrzehnte hinweg ausüben wird. Als Bezirksvorsteher der Bauerschaft Hurrel ist er darüber hinaus mehr als 20 Jahre lang Ansprechpartner für die Verwaltung der Gemeinde Hude. Auch dem Vorstand der Molkerei Wüsting gehört er mehr als 20 Jahre lang ehrenamtlich an.
In den 30er Jahren – aus der vergleichsweise weltoffenen Weimarer Republik ist inzwischen die Diktatur des NS-Staats geworden – errichtet Heinrich auf seinem Besitz noch zwei Heuerhäuser, in denen ebenfalls Angestellte wohnen. Zwei von ihnen haben sich auf Heinrichs Hof kennengelernt und dort eine Familie gegründet, Heino Stöver und Martha Wübbeler. So kommen doch noch Kinder ins Haus: Willy (geboren im November 1935), Luise (April 1937), Frieda (September 1938), Fritz (Januar 1940) und Erika (Mai 1941).
Im September 1939 beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Trotz seines fortgeschrittenen Alters rückt Heinrich noch zur Wehrmacht ein und tut zeitweilig Dienst auf dem Feldflugplatz Bissel bei Großenkneten. Nur wenige Wochen vor Kriegsende im Mai 1945 zerstört ein feindlicher Fliegerangriff einen Teil der Gebäude auf dem Tönjes-Hof. Das neu errichtete Haupthaus bleibt glücklicherweise intakt – es befindet sich beim von Süden her erfolgenden Angriff im toten Winkel. Zu diesem Zeitpunkt lebt Heino Stöver sehr wahrscheinlich schon nicht mehr, er gilt seit der Fünften Kurland-Schlacht im März 1945 als verschollen.
Angesichts dieses Verlusts sind die ersten Nachkriegsjahre eine wahrhaft schwere Zeit für Heinos Witwe Martha und ihre Kinder. Doch auch Heinrich ergeht es kaum besser. Ehefrau Bertha erkrankt an Krebs, sie stirbt im September 1949. Danach führt Martha Stöver den Haushalt auf dem Tönjes-Hof – teilweise unterstützt von Heinrichs Mutter Sophie, die aber 1949 bereits 85 Jahre alt ist. Wie auf einigen anderen Hurreler Höfen in vergleichbarer Konstellation bleibt es nicht beim reinen Dienstverhältnis: Aus Heinrich und Martha wird ein Paar, sie heiraten 1957. Heinrich adoptiert Marthas Kinder und bestimmt den ältesten Sohn Willy zu seinem Nachfolger. Dass der Hof weitergeführt wird, ist ihm zeitlebens wichtig.
Nachdem der Wiederaufbau relativ zügig erfolgt und die Nachfolge geklärt ist, hat Heinrich wieder etwas mehr Muße, seinem größten Hobby nachzugehen: der Jagd. Eine Tätigkeit, die er wie die meisten Dinge im Leben mit sehr viel Ernst betreibt. Die sich regelmäßig anschließenden Umtrunke in den Gasthöfen von Otto Mehrings oder von Anton Budde im benachbarten Altmoorhausen sind für ihn eher Nebensache.
Von seinen Stiefkindern als sehr kinderlieb beschrieben, dürfte es für Heinrich eine Freude sein, die aus der im April 1965 geschlossenen Ehe von Willy Stöver mit Inge Kreienkamp hervorgehenden Kinder Maike (Juli 1965), Anne (April 1967) und Ingo (April 1969) auf dem Hof aufwachsen zu sehen. Nachdem er im Februar 1974 seinen 80. Geburtstag noch bei einigermaßen guter Gesundheit feiern kann, verlassen ihn danach allmählich die Kräfte. Heinrich stirbt am 7. März 1978, zwei Wochen nach seinem 84. Geburtstag. Beerdigt ist er drei Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.