Rebecka Gesine Helene Stolle wird am 14. Juli 1871 als einziges Kind von Johann Diedrich Siemering und Anna Margarete Siemering auf dem elterlichen Hof in Grummersort geboren. Mit Anna Carstens, Gesine Wenke, Mathilde Albers, Aline Mönnich, Johanne Caroline Imhoff, Martha Gerhardine Ramke, Frieda Wragge und Adele Schlötelburg hat sie noch acht jüngere Halbschwestern aus der zweiten Ehe ihres Vaters mit Anna Mathilde Cordes.
Eine Woche nach Rebeckas Geburt bezwingt die Britin Lucy Walker als erste Frau das Matterhorn – sechs Jahre, nachdem dies ihrem Landsmann Edward Whymper als erstem Menschen überhaupt gelungen ist. Ähnlich wie Whymper, der den Italiener Jean-Antoine Carrel 1865 nur um wenige Tage ausstach, sitzt Walker eine Konkurrentin im Nacken: Auch die Amerikanerin Meta Brevoort hält sich im Juli 1871 in den Walliser Alpen auf und plant den Aufstieg zum wohl berühmtesten Schweizer Gipfel. Es ist bereits Brevoorts zweiter Versuch, im Sommer 1869 hatte nur schlechtes Wetter ihren Erfolg verhindert. Noch einmal zwei Jahre früher wäre beiden fast Carrels Tochter Félicité zuvorgekommen. Die erst 18-jährige Italienerin muss aber rund 150 Höhenmeter vor dem Ziel aufgeben, weil der Wind in ihren Rock bläst und sie so in den Abgrund zu reißen droht. Wie allen Frauen jener Zeit ist es Carrel verboten, Hosen zu tragen.
Ob Walker dieses Verbot bei ihrem Matterhorn-Aufstieg beherzigt, ist bis heute umstritten. Zeitzeugen berichten, dass sie sich auf ihren zahlreichen Alpen-Touren – einmal außer Sichtweite – des Öfteren ihres Rocks entledigt und in darunter getragenen Flanellhosen weiterklettert. Detailliert Auskunft geben könnten nur sie selbst oder ihre Begleiter, zu denen neben Vater Frank Walker der bekannte Bergführer Melchior Anderegg gehört. Doch anders als die zahlreichen männlichen Alpinisten des 19. Jahrhunderts liefert Walker nie Erlebnisberichte für Zeitungen und Zeitschriften ab, und auch sonst ist ihre in die Geschichtsbücher eingegangene Klettertour eher spärlich dokumentiert. Was zweifellos auch damit zu tun hat, dass bergsteigende Frauen gesellschaftlich alles andere als akzeptiert sind und beispielsweise nicht Mitglied im ausschließlich Männern zugänglichen Alpine Club in London werden können.
Walkers unterlegene Konkurrentin Brevoort – Tochter eines reichen New Yorker Immobilien-Magnaten – lässt sich weder durch die männliche Geringschätzung noch durch ihren Misserfolg am Matterhorn von weiteren Pionier-Taten abhalten. Im September 1871 ist sie die erste Frau, die nach dem Matterhorn-Aufstieg über Zermatt auf der italienischen Seite des Berges wieder hinabsteigt. Noch im selben Monat steht sie, ebenfalls als erste Frau, auf den Gipfeln des Weisshorn und des Dent Blanche. Ihren Plan, als erster Mensch den Mount Everest zu bezwingen, kann Brevoort allerdings nicht mehr in Angriff nehmen: Sie stirbt im Dezember 1876 in Dorking bei London nach einer Streptokokken-Infektion.
In Grummersort ist derweil in Rebeckas persönlichem Umfeld einiges passiert. Das gravierendste Ereignis liegt Ende 1876 schon mehr als vier Jahre zurück: Im Oktober 1872 ist Mutter Anna Margarete einer im Großherzogtum Oldenburg grassierenden Ruhr-Epidemie erlegen. Vater Johann Diedrich hat daraufhin im Mai 1873 ein zweites Mal geheiratet und mit Rebeckas Stiefmutter Anna Mathilde bis November 1876 drei weitere Kinder bekommen – den einzigen Jungen in der Reihe allerdings im Oktober 1875 als Totgeburt.
Sehr wahrscheinlich bald nach der Geburt der nächsten Halbschwester Mathilde im November 1877 wird Rebecka in die Volksschule Grummersort eingeschult. In ihren letzten beiden Schuljahren besucht Rebecka parallel dazu den Konfirmandenunterricht in Holle. Vom rund fünf Kilometer langen Weg dorthin, regelmäßig zu Fuß in Holzschuhen zurückgelegt, wird sie in späteren Jahrzehnten den Enkelkindern des Öfteren erzählen.
Der Hof, den Rebeckas Vater bewirtschaftet, umfasst lediglich fünf Hektar. Gut möglich deshalb, dass er zumindest zeitweise noch einem Nebenerwerb nachgeht, um die am Ende elfköpfige Familie über Wasser zu halten. Näheres dazu ist heute allerdings nicht mehr bekannt. Dasselbe gilt für die Frage, ob Rebecka nach Schulabschluss und Konfirmation zu Hause mitarbeitet oder auf einem anderen Hof in Stellung geht. Dass Vater und Stiefmutter sie schon zu diesem Zeitpunkt als Hofnachfolgerin bestimmen, ist eher unwahrscheinlich. Zwar ist sie als einziges Kind aus der ersten Ehe ihres Vaters gegenüber den Halbschwestern im Vorteil. Die Geburt eines zweiten, dieses Mal lebensfähigen Jungen jedoch hätte die Reihenfolge noch einmal gehörig durcheinandergewürfelt: Nicht nur die Welt der Bergsteiger, auch die Höfe-Ordnung der Landwirtschaft ist Ende des 19. Jahrhunderts ganz auf Männer und ihre Bedürfnisse und Rechte zugeschnitten.
Im Mai 1897 – drei Jahre nach Geburt der jüngsten Halbschwester Adele – heiratet Rebecka Johann Hinrich Stolle aus Hurrel. Ihr Ehemann bewirtschaftet dort am Brink einen von seinem im Drei-Kaiser-Jahr 1888 verstorbenen Vater übernommenen Hof (heute: Hartmut und Ute Stolle). Ähnlich wie Rebecka hat Johann Hinrich seine Mutter schon im Kleinkindalter verloren, sie litt wie später auch seine 1890 verstorbene Stiefmutter an Tuberkulose. Seither ist Johann Hinrich für die 1878, 1881 und 1885 geborenen Halbgeschwister Gerhard, Heinrich und Bertha verantwortlich. Da es in Gerhards Familie später heißt, Rebecka habe ihn und die beiden jüngeren Geschwister großgezogen, liegt die Vermutung nahe, dass Rebecka bereits kurz nach dem Tod von Johann Hinrichs Stiefmutter als Haushälterin auf den Stolle-Hof kommt. Wie in manch ähnlich gelagertem Fall dürfte dann aus dem ursprünglichen Angestellten-Verhältnis im Laufe der Zeit mehr entstanden sein.
Schon bald nach der Hochzeit ist Rebecka schwanger, am 1. März 1898 bringt sie einen Sohn zur Welt. Wie 23 Jahre zuvor ihr einziger Bruder erweist er sich jedoch als nicht lebensfähig und stirbt unmittelbar nach der Niederkunft, ohne einen Namen zu erhalten. Danach folgen mit Gerhard Diedrich (Februar 1901) und Dietrich (Oktober 1906) zwei weitere Söhne. Schon bald nach der Bestätigung ihrer dritten Schwangerschaft dürfte Rebecka aber ahnen, dass neues Unheil ins Haus steht: Ehemann Johann Hinrich leidet an Blutarmut, neun Tage vor Dietrichs Geburt muss sie ihn in Hude zu Grabe tragen lassen.
Mit gerade einmal 35 Jahren Witwe geworden, verpachtet Rebecka den Stolle-Hof an ihren mittlerweile mit Anna Schlötelburg aus Altmoorhausen verheirateten Schwager Gerhard, bleibt aber mit ihren beiden Söhnen dort wohnen. In Hurrel erlebt sie zwischen 1908 und 1913 die Geburt von Gerhards und Annas Kindern Johann, Gustav und Adele – denen im März 1907 abermals ein noch am selben Tag namenlos verstorbener Sohn vorausgegangen ist. Ab August 1914 bringt dann der Erste Weltkrieg die gewohnten Abläufe auf dem Hof gehörig durcheinander: Wie Millionen andere Männer rückt Gerhard zur Armee ein. Ehefrau Anna – seit dem Frühjahr wieder schwanger – sowie Rebecka und ihre beiden Söhne sind bei der Bewirtschaftung plötzlich weitgehend auf sich allein gestellt. Dass dies mehr als vier Jahre lang so bleiben wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt wohl noch niemand.
Nach Kriegsende kehrt Gerhard in die Heimat zurück und nimmt die Arbeit auf dem Stolle-Hof wieder auf. Fast zeitgleich stirbt in Grummersort Rebeckas Stiefmutter Anna Mathilde – für sie das Signal, im Frühjahr 1921 nach mutmaßlich mehr als 30 Jahren Aufenthalt ihre Zelte in Hurrel abzubrechen und zusammen mit ihrem jüngeren Sohn Dietrich den elterlichen Hof in Besitz zu nehmen. Ob ihr mittlerweile 76-jähriger Vater die beiden dabei noch unterstützen kann oder bis zu seinem Tod im Februar 1927 eher der Pflege bedarf, liegt heute im Dunkeln. Der ältere Sohn Gerhard Diedrich, von Rebecka als Erbe des Hurreler Stolle-Hofes vorgesehen, bleibt derweil vor Ort wohnen.
Zurück in Grummersort, erlebt Rebecka die durch den verlorenen Krieg befeuerte Hyperinflation, die anschließende Krise der Landwirtschaft und ab 1929 die Weltwirtschaftskrise, die den von Adolf Hitler geführten Nationalsozialisten enormen Auftrieb verleiht. Am 31. Mai 1933 – vier Monate nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – bekommt Rebecka eine Schwiegertochter ins Haus: Dietrich heiratet Hermine Duhme aus Tweelbäke. Im Juli 1934 wird Rebeckas Enkeltochter Gerda geboren, im Februar 1938 deren Schwester Anni. In Hurrel hat Rebecka zu diesem Zeitpunkt aus der Ehe von Gerhard Diedrich Stolle mit Katharine Sanders aus Maibusch ebenfalls bereits zwei Enkelkinder: Renate (August 1931) und Hans (Januar 1933).
Als im März 1940 in Hurrel Rebeckas fünftes und letztes Enkelkind Ewald hinzukommt, tobt bereits seit sechs Monaten der Zweite Weltkrieg durch Europa. Zwei Jahre später erhält auch Dietrich Stolle eine Einberufung zur Wehrmacht, fortan bewirtschaften Rebecka und Schwiegertochter Hermine ihren Hof in Grummersort mit Hilfe eines französischen Kriegsgefangenen. Kurz vor Kriegsende findet zudem auf ihrem Hof noch eine obdachlos gewordene Familie aus Oldenburg Unterschlupf. Dietrich, nach einem kurzen Einsatz in Frankreich überwiegend in der Garnisonsstadt Northeim am südlichen Rand des Harzes stationiert, kehrt unmittelbar nach der Kapitulation der Wehrmacht nach Grummersort zurück. Dort geht deshalb das Leben für Rebecka und ihre Familie aller Not der Nachkriegszeit zum Trotz schon bald wieder seinen gewohnten Gang.
In den 50er Jahren vergrößern Dietrich und Hermine den Hof durch Zupacht noch um einige Hektar. Obwohl bereits über 80, leistet Rebecka auch in dieser Zeit weiter ihren Beitrag in der Küche und im Haushalt. Kurz nach der Hochzeit von Enkelin Gerda mit Heino Molle aus Vielstedt im Juni 1957 erleidet sie einen Oberschenkelhalsbruch, von dem sie sich zunächst noch einmal erholt. Zu Beginn des nächsten Jahrzehnts lassen ihre Kräfte dann jedoch altersbedingt mehr und mehr nach.
Rebecka stirbt am 17. Juni 1962, vier Wochen vor ihrem 91. Geburtstag. Beerdigt ist sie vier Tage später auf dem Friedhof der St.-Elisabeth-Kirche in Hude.